Preprints und ihre Rolle in der Wissenschaftskommunikation während der Corona-Pandemie

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Die Corona-Pandemie wird vieles für immer verändern – darunter die Art und Weise wie Wissenschaft veröffentlicht und kommuniziert wird. Forschungsergebnisse werden schneller und offener an die Öffentlichkeit weitergegeben. Klingt großartig. Es kann aber auch zu Missverständnissen führen und im schlimmsten Fall durch schlechte Journalisten ausgenutzt werden.

Mit Prof. Drosten hat Deutschland in dieser Krise viel Glück gehabt. Nicht viele Länder haben einen Experten an der Hand, der nicht nur als etablierter Virologe am Coronavirus forscht, sondern auch in einem Podcast (auf verständliche Weise und in Muttersprache) über das Virus und die Krankheit aufklärt. Auch wenn die Mehrheit den Forscher sehr zu schätzen weiss, musste Prof. Drosten einen Preis für sein Engagement zahlen: einen Kult um seine Person, dem er merklich abgeneigt ist, und einen heftigen Streit mit der Bild-Zeitung, welcher in Morddrohungen gipfelte.

Im Zentrum des Streits steht eine Studie, in der das Team von Prof. Drosten die Viruslast (also die Anzahl an Viruspartikel im Rachen einer Person) von Kindern und Erwachsenen vergleicht and anhand dessen deren Infektiosität abschätzt. Ein brisantes Thema. Noch gibt nicht viele Daten zum Effekt der Krankheit auf Kinder und ihrer Rolle bei der Übertragung. Daher werden jeglichen Ergebnissen großes politisches Potenzial beigemessen – so könnten sie entscheidenden Einfluss auf das wann und wie der Schul- und Kindertagesstättenöffnung haben. In ihrer Studie berichten Drosten und sein Team, dass sich die Viruslast auch bei sehr jungen Kinder nicht wesentlich von der bei Erwachsenen unterscheidet. Folglich könnten Kinder genauso ansteckend sein wie Erwachsene. Sie warnen (in der erster Version der Veröffentlichung) vor der Wiedereröffnung der Kinderbetreuung. Kurz nach der Veröffentlichung lasen mehrere Statistiker das Manuskript und kritisierten die verwendeten statistischen Methoden (1,2,3). Teilweise wurden die Daten neu analysiert. Aufgrund ihrer Ergebnisse schlugen sie verschiedene Möglichkeiten vor, um die Studie zu verbessern. Einige Medien haben diesen öffentlichen wissenschaftlichen Austausch genutzt, um Prof. Drosten als Lügner und seine Studie als falsch darzustellen.  * SPOILER: stimmt nicht, glaubt bitte nie was in der Bild steht *

Die Sache ist die, dieses Vorgehen – der Austausch von Wissenschaftler um eine Studie zu verbessern –  ist in der Wissenschaft übliche Praxis. Normalerweise geschieht dies jedoch hinter verschlossenen Türen und lange bevor die Studienergebnisse geteilt und veröffentlicht werden. Wir sehen also nur das fertige Produkt – nicht die Entstehung.

Peer-Review und Preprints

Was passiert also normalerweise? Die Wissenschaftler schreiben, sobald sie eine Entdeckung gemacht und Experimente um ihre Theorie zu beweisen abgeschlossen haben, ein Manuskript. Genau wie Prof. Drosten es getan hat. Sie senden besagtes Manuskript an ein Fachjournal. Dieses sendet es weiter an andere Experten im entsprechendem Forschungsgebiet um es zu überprüfen. Diese Reviewer beurteilen, ob das Manuskript seine Hypothese ausreichend beweist, machen Vorschläge um die Studie zu verbessern und bewerten, ob das Manuskript veröffentlicht werden sollte (entweder wie es ist, mit Modifikationen oder eben nicht). Dieses Verfahren wird Peer-Review (Kollegen-Gutachten) genannt. Während Prof. Drosten sein Manuskript an Fachzeitschriften gesendet hat und auf eine Begutachtung von Fachkollegen wartet, hat er einen sogenannten Preprint online hinterlegt und die Ergebnisse in den sozialen Netzwerken geteilt.

Das vorab veröffentlichen von Manuskripten als Preprints wird immer häufiger, denn es hat Vorteile. Die Daten sind schnell und kostenfrei verfügbar. Aufgrund des Peer-Review-Prozesses und Produktionszeiten ist die Veröffentlichung in Fachjournalen aufwendiger und langsamer als das Hochladen eines Preprint. (Randnotiz: Normalerweise werden Preprints nicht auf der Website des Arbeitgebers veröffentlicht, sondern auf sogenannten Preprint-Servern hinterlegt. So hat die Wissenschaftsgemeinschaft die Möglichkeit, die Manuskripte direkt auf der Website zu kommentieren.) Das Lesen von Preprints ist kostenlos und ermöglicht damit die weite Verbreitung der Daten.

Aufgrund der globalen Bedeutung des Coronavirus, schreitet die Forschung zum Thema schnell voran. Es ist daher großartig wenn neue Ergebnisse, die zum Verständnis der Biologie des Viruses beitragen, schnell via Preprints ausgetauscht werden können. Die Suche nach einem Heilmittel wird somit beschleunigt. Aber während Wissenschaftler wissen, dass sie Preprints sorgfältig und kritisch lesen müssen, müssen die Öffentlichkeit und speziell einige Journalisten, die die Information für die Öffentlichkeit aufbereiten, noch üben. Es scheint, dass manch einer manchmal vergisst, was ein Preprint ist. Zum Teil suggeriert die Berichterstattung, dass in Preprints enthaltenen Daten in Stein gemeißelt sind. Wie im Fall der Drosten Studie. Als das Preprint dann aber überprüft und kritisiert wurde, sahen die Bild-Reporter eine Kritik an Drosten selbst und nicht die Möglichkeit, die Studie zu verbessern. Sie implizierten sogar, dass Prof. Drosten gelogen hätte um uns alle in die Irre geführen. Dies ist aber natürlich keineswegs der Fall. Prof. Drosten hat die Vorschläge akzeptiert, wie es im Peer-Review üblich ist, und mittlerweile  eine überarbeitet Version der Studie vorgelegt. 

Und genau so funktioniert Wissenschaft. Es ist eine kollaborative Angelegenheit. Eine Schwarmintelligenz. Manchmal gibt es eben Lücken im Studiendesign, oder zusätzliche Experimente und bessere Methoden, die zur Analyse der Daten angewendet werden können. Deshalb prüfen Experten die Arbeit ihrer Kollegen. Traditionell geschieht dies, bevor die Ergebnisse verbreitet werden. In Zeiten einer Pandemie, in der die Forschung zu Coronaviren für die Öffentlichkeit von großer Bedeutung und Interesse ist, beschleunigt sich nicht nur der Veröffentlichungsprozess, sondern es wird auch mehr darüber berichtet. Auch wissenschaftliche Kritik wird daher öffentlicher. Dies bedeutet nicht, dass Preprints und ihre Aussagen fehlerhaft sind. Sondern, dass sie durch den Input von Kollegen noch verbessert werden können. Und das ist eine gute Sache – keine schlechte! Es macht Wissenschaft robust!

Die Rolle von Preprints während und nach der Pandemie

Preprints spielen eine große Rolle in der Wissenschaftskommunikation während dieser Pandemie und vielleicht überträgt sich das auf die gesamte Wissenschaft –  in der Zukunft. 

Eine vergleichsweise große Anzahl an Artikeln über das Coronavirus wird zuerst auf Preprint-Servern abgelegt: 4.788 Preprints konnten auf medRxiv und bioRxiv gefunden werden, als dieser Blog online ging. Im Vergleich dazu liefert die Suche nach „Immuntherapie“ – einem deutlich älteren Forschungsgebiet, dass sich mit der Nutzung des Immunsystems zur Heilung von Krebs und anderen Krankheiten beschäftigt – 2.626 Ergebnisse auf bioRxiv und 208 auf medRxiv. Darüber hinaus wird auf Preprints zum Thema Coronavirus 15-mal häufiger zugegriffen als Preprints zu anderen Themen (Daten aus einem Preprint von Fraser et al.).

Noch ist nicht abzusehen, ob fortan auch in anderen Forschungsgebieten mehr Ergebnisse zuerst als Preprint veröffentlicht werden und/oder ob diese auch vermehrt gelesen werden. Nichtsdestotrotz scheinen Journalisten Preprints als Quelle entdeckt haben. Auch auf den sozialen Medien (Twitter) werden Preprints zum Thema Corona vermehrt geteilt (Fraser et al.). Hier gilt es vorsichtig und besonnen zu sein, da die Verwendung oder Verbreitung von Preprints in den Medien irreführend sein kann, wenn die Preprints der Prüfung durch die Fachkollegen nicht standhalten. Es sollten daher Regeln für die auf Preprints-basierende Berichterstattung festgelegt werden. Journalisten sowie Leser müssen für Preprints und deren Limitierungen sensibilisiert werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Daten noch nicht von der wissenschaftlichen Gemeinschaft überprüft wurden und dass sich ihre Schlussfolgerungen mit der Zeit ändern können. Neben dem Preprint ist es sinnvoll, die Antworten auf den Preprint zu beobachten (oder/und darüber zu berichten).

Die Preprint-Server bioRvix und medRvix haben jetzt eine Notize auf ihren Websites hinzugefügt, um auf den fehlenden Peer-Review bei Preprints hinzuweisen:

Caution: Preprints are preliminary reports of work that have not been certified by peer review. They should not be relied on to guide clinical practice or health-related behavior and should not be reported in news media as established information.

Auch der neue Preprint der Drosten Studie enthält ein ähnliches Statement:

Preprint:​ This document is a snapshot of research work in progress. It is released to provide an impression of viral loads based on diagnostic testing. It reports new medical research that has yet to be evaluated. As with other preprints, it should not be used to guide clinical practice.*

Bild: MedicalGraphics.de – Lizenz: CC BY-ND 4.0 DE