Ist das Immunsystem der Grund, dass Männer und ältere Menschen häufiger an Covid-19 sterben?

Seit einem Jahr hält SARS-CoV-2 die ganze Welt in Schach. Mehr als zwei Millionen Menschen haben weltweit ihr Leben verloren. Mehr als 47.000 in Deutschland. Es gibt dabei klare Risikofaktoren: neben dem Alter zählen unter anderem Geschlecht, Rauchen, Diabetes, COPD und Übergewicht dazu. Schwere Verläufe der Krankheit sind gekennzeichnet durch eine exzessive Immunantwort, die den Virus nicht in den Griff bekommt, aber Lungen und andere Organschäden verursacht.

Ein Review von Petter Brodin nutzt nun unser Wissen bezüglich Risikofaktoren, um zu analysieren welche immunologischen Mechanismen hinter schweren Krankheitsverläufen stehen. 

Das größte Risiko stellt das Alter dar. Ab 70 Jahren steigt die Wahrscheinlichkeit an einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu sterben steil an. Aber es fällt auch auf, dass Männer öfter schweren Verläufen erliegen. Was sind die Unterschiede im Immunsystem von Männern und Frauen? Und was passiert mit dem Immunsystem im Alter?

Type-1 Interferone

Es ist bekannt, dass SARS-CoV-2 (wie auch die verwandten SARS und MERS Viren) verminderte oder verspätete anti-virale Immunantworten in Form von Type-1 Interfonen auslösen. Ohne Type-1 Interferone, die die Vermehrung der Viren eindämmen und bei ihrer Beseitigung helfen, verbreitet sich das Virus schnell in den Patienten. Dies und die verspätete, und dadurch starke, entzündliche Immunantwort, um dem Virus doch noch Herr zu werden, führt zu starken Gewebeschäden. Type-1 Interferone sind also von großer Bedeutung, wenn es darum geht, ob Covid-19 mild oder fatal ausgeht. 

Mit Blick auf die Risikofaktoren überrascht es daher nicht, dass Männer und Frauen nach Immunstimulation unterschiedlich starke Type-1 Interferon Antworten ausbilden. Männliche Immunzellen produzieren weniger Type-1 Interferone nach Stimulation via TLR7 im Reagenzglas. TLR7 ist eins der Moleküle, welches RNA-basierte Viren im Körper erkennt und eine Immunantwort auslöst. Das TLR7 Gen liegt auf dem X-Chromosom. Da Frauen zwei X-Chromosomen haben, könnte es sein, dass Frauen mehr von diesem Alarmsensor haben – wobei das nur eine Hypothese ist.

Immunaging – das alternde Immunsystem

Im Alter verändert sich das Immunsystem. Zum Beispiel fallen anti-virale Type-1 Interferon Antworten in älteren Leuten meist geringer aus. Aber es gibt noch mehr – für eine Covid Infektion – schlechte Nachrichten. Die Zahl an Immunzellen nimmt im Alter ab. So bildet sich der Thymus – der Geburtsort aller T Zellen stetig zurück. Im Alter stehen also weniger Abwehrzellen zur Verfügung, was eine Virusabwehr verlangsamt. Der Körper setzt auf Gedächtniszellen. Eine Strategie die gegen einen neuen Virus nicht hilft.

Fortschreitendes Alter korreliert mit systemischer Inflammation. Also einem dauerhaft aktivierten Immunsystem. Diese Aktivierung ist zwar auf “Sparflamme”, aber wohl merklich. Die erhöhten Level an Immunmodulatoren wie IL-6, IL-12 und IL1beta sowie die Aktivierung von Inflammasomen erzeugt eine Umgebung die dem Virus hilft und das Immunsystem weiter aktiviert. Diese übermäßige, aber nicht Virus-gerichtete Immunaktivierung schädigt das Lungengewebe und kann fatale Folgen haben. 

Ältere Menschen haben also meist eine unzureichende antivirale Immunantwort, tendieren aber zu einer starken Entzündungsreaktion, die dann z.B. das Lungengewebe schädigt. 

Was lernen wir von anderen Risikofaktoren?

Übergewicht wirkt sich negativ auf den Krankheitsverlauf bei Covid-19 aus. Ähnlich wie im Alter könnte auch hier eine unterschwellige Entzündungsreaktion von Nachteil sein. Fettzellen schütten nämlich Immunmodulatoren (wieder z.b. IL-6) aus, die im Falle einer Covid Erkrankung zur ausartenden Immunantwort beitragen können.

Autoimmunkrankheiten wie Lupus oder Rheuma gehen auch mit unterschwelliger Immunaktivierung einher und auch hier wurde ein erhöhtes Risiko an Covid-19 zu sterben festgestellt. 

Auch COPD liegt eine Entzündungsreaktion zu Grunde und kann Covid-19 daher aus ähnlichen Gründen negativ beeinflussen. Wobei hier auch die bereits geschädigte Lunge eine Rolle spielt. Während Rauchen auch das Gewebe schädigt, wurde in dem Fall gezeigt, dass es die Menge an ACE2 Rezeptor erhöht. ACE2 ist das Eingangstor für SARS-CoV-2 in die Zelle. Und Rauchen öffnet dieses Tor und lässt den Virus rein.  

Viele Risikofaktoren scheinen also etwas gemeinsam zu haben. Eine Grundaktivierung des Immunsystems, die zum einen dazu führt, dass der Virus nicht effektiv abgetötet wird und gleichzeitig eine massive, gewebe-schädigende Immunantwort begünstigt. Die erhöhte Entzündungsreaktion im Körper kann dabei nicht nur die Sterblichkeit beeinflussen, sondern auch Langzeitfolgen (Long-Covid) begünstigen.

Es wird zunehmend von Langzeitschäden berichtet, die ursächlich dem Immunsystem zugeschrieben werden. Es scheint als würde SARS-CoV-2 Autoimmunität verursachen. So werden Thrombosen – auch nach milden Verläufen – der Bildung von auto-immun Antikörpern zugeschrieben. Die Bildung solcher, den eigenen Körper angreifenden, Antikörpern nach Infektionen ist nicht selten. Die starke Aktivierung des Immunsystems durch einen Virus ist dabei sehr zuträglich. Es erlaubt autoreaktiven Immunzellen, die sonst blockiert werden, aktiviert zu werden und den eigenen Körper angreifen. Mehrere aktuelle Studien haben zudem gezeigt, dass autoreaktive Antikörper gegen Immunmodulatoren gerichtet sein können und zu einem schweren Krankheitsverlauf beitragen können.

Fazit

Aktivierung des Immunsystems scheint über viele Risikogruppen hinweg ein Problem im Verlauf von Covid-19 zu sein. Warum inhibieren wir dann nicht das Immunsystem? Weil wir es brauchen um SARS-CoV-2 und andere Krankheitserreger zu bekämpfen. Das unspezifische Blockieren des Immunsystems (anti-viral und entzündlich) ist daher nicht zielführend oder erfolgversprechend. Es gibt aber interessante Pre-print Studien zum Thema – so hat eine Gruppe in England schwer an Covid-19 erkrankten Personen (beatmet auf der Intensivstation) IL-6 blockierende Antikörper (Tocilizumab and Sarilumab) verabreicht. Im Vergleich zur Placebo-Gruppe konnten beide Mittel die Sterblichkeit erheblich von 35% auf 28% bzw. 22% senken. Eine Therapie, die in schweren Fällen auf eine gezielte Abmilderung der entzündlichen Immunantwort abzielt, ist daher durchaus denkbar.